Blind sein und dennoch laufen – und das auf höchstem Niveau!

Es hat nun schon Tradition, dass die beiden Weltklasseathleten Henry Wanyoike und Joseph Kibunja das Sportgymnasium besuchen. Auch dieses Jahr bekamen zwei IPP Klassen die Chance, die beiden hautnah kennenzulernen und am eigenen Leib zu erfahren, wie es ist, blind zu laufen.
Eine ganze Woche stand unter dem Projekt „Blindheit“ und Lehrer der unterschiedlichsten Unterrichtsfächer griffen Aspekte des Themas heraus. Die Schüler der Klassen 3D und 3E lernten, was es heißt, nicht zu sehen. In Biologie erfuhren sie etwa, wie es kommt, dass in Entwicklungsländern die Rate der Blinden so außergewöhnlich hoch ist. Auch die verschiedenen Augenkrankheiten wurden besprochen. In Deutsch erlebten sie, wie anders der Raum wirkt, wenn man ihn nicht sieht. Zu schreiben und zu zeichnen ist zwar noch möglich, doch wie das Ergebnis aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Und auch die Schule haben die Kinder mit ihren „Hockey-Blindenstöcken“ erkundet, ihre jeweiligen Partner mussten nur darauf achten, dass sie nicht über Stufen purzelten. In Geografie bekamen sie noch Informationen zu Kenia, dem Herkunftsland der beiden Sportler. Jetzt, da deren Besuch so nahe bevor stand, war das Interesse an diesem Land größer denn je. Und da die beiden Läufer neben Suaheli nur Englisch sprechen, war das die Gelegenheit, Fragen in der Fremdsprache vorzubereiten und so endlich das in der Schule Gelernte anzuwenden.
Zwei Tage nach dem Vienna Night Run, den Henry in der Klasse der blinden Läufer gewann, legten die beiden auf dem Weg zum Flughafen einen Stop im Sportgymnasium ein. Es ist ihnen zu einer lieb gewordenen Gewohnheit geworden, mit unseren Schülern zu laufen und ihnen damit zu zeigen, dass es wichtig ist, etwas aus seinem Leben zu machen.
Henry Wanyoike erblindete mit 21 Jahren nach einem Schlaganfall über Nacht, doch nach einer Phase der Verzweiflung stand er auf, sein langjähriger Freund und Laufpartner nahm ihn an der Hand und sie liefen los. Mit neuem Lebensmut trainierte Henry, bis er an der Weltspitze war. So holte er bei den Paralympics in Sydney Gold über 5000 Meter.

Die Kinder staunten nicht schlecht, als Henry ohne Blindenstock und ohne zu zögern in die volle Klasse trat und auf einem Sessel Platz nahm. Er wirkt so selbstsicher und souverän, dass die Schüler schon glaubten, dass er vielleicht doch etwas sieht. Beruhigend ist für ihn natürlich, dass Joseph an seiner Seite ist. Die beiden vertrauen sich – blind! Nachdem Henry über sich erzählt hatte, bekamen die Schüler die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Nach einer anfänglichen Scheu waren sie dann beinahe nicht mehr zu stoppen. Doch wir wollten weiter, der zweite Teil unseres Workshops stand auf dem Programm.

Auf der Laufbahn bekamen die Kinder die Gelegenheit, auszuprobieren, wie es ist, zu laufen, ohne etwas zu sehen. Zunächst trabten sie vorsichtig an der Hand ihrer Partner, doch schon bald wurden sie mutiger und waren kaum mehr zu stoppen. Die Krönung war es aber, Henry am offiziellen Band zu nehmen und ihn zu führen. Es war schon ein Erlebnis für die Kinder, dass sich dieser Mann, der tatsächlich blind war, von ihnen führen ließ – dass er ihnen vertraute. Und am schönsten war es, wenn er sagte: Let’s run fast, very fast!“ Auch Joseph erklärte sich bereit, Kinder mit verbundenen Augen zu leiten. Eine Schülerin meinte: „ Am besten war es, mit Joseph zu laufen, dem kann man voll vertrauen!“ Kein Wunder, dass so mancher Schüler ein neues Idol hat! In einer Autogrammstunde ließen wir das Projekt ausklingen.
Die Selbstsicherheit und Kraft, die von Henry Wanyoike ausgeht, hat uns alle schwer beeindruckt und seine Fröhlichkeit hat uns angesteckt.

Mag.Birgit Pfisterer

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